Armut stinkt. Nach Pisse zum Beispiel. Oder nach Schweiß. Nach kalten Pommes und verkipptem Bier. Nach schwärenden Wunden
und schwarzfauligen Zähnen. Armut riecht definitiv nicht nach Oud Wood Intense von Tom Ford. Selbst im schlimmsten Schmacht würde sich der größte Alki diesen 90 volumenprozentigen Duftfusel
niemals in den Rachen kippen. Für den Preis eines Flakons gibt es mindestens100 Flachmänner Schnaps, tagelanges Wegschießen ist damit garantiert.
Wie dick muss die Maske sein, dass mir der Gestank der Obdachlosigkeit nicht in die Nase zieht? Die U-Bahnen Berlins sind voll mit menschlichem Elend, das humpelnd und heulend von Wagen zu Wagen
zieht und mit schmutzigen Händen nach jedem Cent greift, der aus geneigten Börsen in die entgegengestreckten Kaffee-to-go-Becher fällt. Meistens aber bleibt die Offenheit aus, die Sauberen und
Wohlriechenden ziehen sich Schnecken gleich in ihre mentalen Gehäuse zurück, verschließen alle Sinne und starren paralysiert zu Boden in der Hoffnung, dass dieses alptraumhafte Wesen, stinkend
und stolpernd, immer wieder innehaltend und wie in einen tiefen Schlummer versinkend, weiterschlurfen und seine Befindlichkeit doch bitte anderweitig exponieren möge.
Unter Brücken und in Hauseingängen, in Parks und auf Spielplätzen, in Zügen und Bahnen schreit die Armut jedem Aufmerksamen entgegen. Die Städte sind voll des Elends, voller Ausgestoßener,
Ausgeworfener, Abgeschäumter. Wer mag sie zählen, welche Statistik erfassen, dass ihrer mehr und mehr geworden sind. Ist es wirklich nur ein prozentual vernachlässigbarer Teil der Gesellschaft,
der willent- und wissentlich die Grenzen des Zuträglichen überschreitet und sich immer tiefer hinab in die Verkommenheit säuft, fixt, hurt? Das ungeschriebene Gesetz des menschlichen Daseins, der
äußerte Rand der Gaußschen Glockenkurve, das Pessimum unserer Zivilisation.
Vielleicht kann man es eine Schande für ein so wohlhabendes Land nennen, dass es hierzulande noch immer arme und obdachlose Menschen gibt. Vielleicht ist es Blindheit gepaart mit Unfähigkeit und
Planlosigkeit, die verhindern, dass eine Gesellschaft alles daran setzt, jedem Menschen gleich gute Lebensbedingungen, das gleiche Maß an Zuwendung, Aufmerksamkeit, Respekt zukommen zu lassen.
Vielleicht hat es aber auch etwas von einem Kalkül, einer Machination in unserer hoch entwickelten, konsum- und leistungsfixierten Massengesellschaft, die dafür sorgt, dass Abweichlern jede
Weigerung zur Pflichterfüllung den nachhaltigen Entzug jedweden menschlichen Miteinanders innerhalb der Gemeinschaft der Werktätigen droht. Da kennt Otto Normalverbraucher kein Erbarmen: Wer
nichts leistet, scheitert winselnd.
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