Wie strohdoof ist das denn?!

Das muss man der Ingeniosität der Werbelumpen doch lassen, nämlich: aus gemähtem Getreide (= Stroh) und ein paar Kilo Lebendmett (= Ferkel) eine so richtig ans Herz gehende Tierwohlkampagne zu zaubern. REWE, das auftraggebende Unternehmen, hatte zu Beginn sicherlich nur eine grobe Vorstellung davon, was es will. Irgendwas mit … Tieren! Und auch was mit … Wohl! Tiere, die sich wohl fühlen – ja genau, in die Richtung sollte das gehen. Seien wir ehrlich: Im Grunde fängt jede vermeintlich gute Kampagnenidee so an, dass am Anfang noch niemand sagen kann, worauf das Ganze am Ende hinauslaufen wird. So wird es den Wohl-Werbern ergangen sein, denen anfangs wahrscheinlich ein niedlich grinsendes rosa Schweinen vor Augen schwebte, irgendwas Putziges, Herzerweichendes, ein Bild, das dem fleischverliebten Kunden richtig schön den leeren Magen erwärmt. So sitzt also unsere kaffeesaufende Kreativkohorte beim vormittäglichen Brainstorming, natürlich Corona-konform auf Abstand, und jeder und jede darf mal reihum ein zum rosa Schweinchen passendes Mentalejakulat in die Runde rotzen. Nach und nach verdichten sich die dümmsten Ideen zu handfesten core ideas, noch aber ist kein Gedanke zu verwegen, als dass dieser nicht irgendwie doch auf die zugrundeliegende Kundengrille einzahlen würde. Ob fröhliche Ferkel ausgestreckt im Stroh oder rollende Rinderaugen auf weiten Weiden: den deutschen Fleischfressern soll von hinten durch die Brust eine feine Dose Moralin ins Gewissen gespritzt werden. Denn eines sollte uns Deutschen klar sein: Wenn wir schon zum Frühstück auf die Wurst nicht verzichten mögen, dann wenigstens von glücklich geschlachteten Tieren!

 

Die REWE-Kampagne schimpft sich „Strohwohl – Aus Respekt vor Tier und Natur“ und verspricht voll-schweinefleisch-mundig „Genuss mit gutem Gewissen“. Doch selbst ein nicht studierter Semasiologe würde aufstutzen und die Frage formulieren: Was, genau, ist mit „Respekt“ gemeint? Respekt meint im eigentlichen Wortsinne die Sicht nach hinten. Vermutlich wurde einst das Verhalten beschrieben, dass in einer Gruppe, in der ein Starker vorneweg schreitet und Schwächere folgen, der Stärkere auf die Schwächeren achtet, dass am Ende niemand zurückbleibt. Rücksicht nehmen also. Aber auf wen genau will die Kampagne Rücksicht nehmen? Auf das lachhaft lange Leben von Millionen Tiere, denen der Gang zum Schlachter sowieso nicht erspart werden wird? Vielleicht auf die Gesundheit von eng zusammengepferchten Tieren, die sich gegenseitig verletzen, tottrampeln, zuscheißen, ersticken in viel zu engen Käfigen? Oder ist das ganze Gerede um Respekt viel subtiler gemeint: WENN ihr schon krepieren müsst, dann soll der Weg des Leides ein kurzer sein.

 

Eine andere Art Blick zurück, die im Geiste, verweist auf eine Zeit, in der Fleisch wahrlich noch kein täglich Brot war. Der sprichwörtliche Sonntagsbraten war ein von der ganzen spießbürgerlichen Kern- oder Großfamilie sehnsüchtig erwartetes lukullisches Highlight der Woche. Gab es an den Wochentagen eher Aufschnitt, so war den Sonn- oder Feiertagen vorbehalten, Fleisch gleich kiloweise der Familie zu kredenzen. Noch um 1950 verzehrte der Durchschnittsdeutsche rund 26 kg pro Kopf (PDF, Seite 4), wenige Wirtschaftswunderjahre später sind es schon 60 kg – ein Wert, der sich über die nachfolgenden Jahrzehnte bis heute relativ stabil gehalten hat. Zum Vergleich: Nordamerikaner oder Australier hauen sich im Schnitt 100 kg und mehr Fleisch in den Bauch, während Indien, Indonesien oder manche afrikanische Länder auf kaum 10 kg pro Kopf kommen.

 

Leider ist weltweit der Trend zu beobachten, dass in den früheren Entwicklungs-, jetzt Schwellenländern mehr und mehr Fleisch auf den Tellern landet – so in Afrika, Asien, allem voran in China. Während die klimaaktive deutsche Jugend den Braten immer öfter verschmäht und lieber Körner kaut, entfällt fast ein Drittel des gesamten heutigen Fleischkonsums und ein Drittel des Wachstums der vergangenen 20 Jahre auf den Fleischhunger unserer aller liebsten Mandelaugen. Und das, obwohl der relative (Pro-Kopf-) Verbrauch weniger als die Hälfte dessen ausmacht, was sich der Ami auf den Teller haut.

 

Was hat mit alledem die Strohwohl-Kampagne zu tun? Strohwohl setzt sich explizit dafür ein, dass Schweine vor ihrer unvermeidlichen Schlachtung ein „gutes“ Leben haben sollen. Dazu gehört, nach Überzeugung der Verantwortlichen bei REWE, der Aspekt Regionalität. „Regionalität bedeutet, dass die Tiere in der Region geboren werden, aufwachsen und geschlachtet werden. Daraus resultieren kurze Transportwege und damit weniger Stress. Auch wird auf regionales, gentechnikfreies Futter geachtet. Die Tierhaltung entspricht mindestens den Anforderungen der Initiative Tierwohl, die Tiere haben also mehr Platz und verfügen über Beschäftigungsmaterial. Teilweise gehen die Anforderungen sogar weit darüber hinaus – wie zum Beispiel beim Strohschwein. [...] Die Tiere haben doppelt so viel Platz wie gesetzlich vorgeschrieben. Gesetzlich vorgeschrieben sind 0.75 m². Das heißt, dass sich unser Strohwohlschwein über 1,5 m² „Auslauf“ freuen darf, um mit seinem „Beschäftigungsmaterial“ (Bücher? Fußball? iPad?) herumzutollen. Na hoffentlich rennt es vor lauter Lebensfreude nicht zu weit raus. Aber selbst in Freilandhaltung würde unser Strohwohlschwein wahrscheinlich nicht das Weite suchen, ist ihm doch quasi die regionale Verbundenheit epigenetisch hineinvererbt worden. Denn auch das bedeutet Regionalität: in der Region geboren, aufwachsen und dort geschlachtet. Hilft das dem Schwein in irgendeiner Weise bei der Suche nach einem guten Leben? Wohl eher nicht, denn in kaum sechs Monaten, die ihm zum Leben bleiben, wird es sich kaum seines eigenen Elend vollumfänglich bewusst werden können. Vielleicht auch dank des tollen Beschäftigungsmaterials, das ihm die Zeit zwischen Fressen, Saufen und Schlächterbeil vertreibt.

 

Uns Karnivoren sollte eines bewusst sein: WENN wir uns schon für den Verzehr toter Tiere entscheiden, dann sollte der Preis, dass ein Wesen sein Leben dafür hergibt, als morgendlicher Aufschnitt oder mittägliches Schnitzel auf der Speisekarte eines anderen Wesens zu landen, so vertretbar hoch wie irgend möglich sein. Nichts rechtfertigt es, Hunderte Millionen Tiere Jahr um Jahr auf industrielle Weise zu töten, nur weil Männer, Moden oder Mentalitäten in die Geschicke unserer Mitgeschöpfe einzugreifen sich erdreisten. Wer sich dieses Recht nimmt, sollte sich im Gegenzug auch seiner Pflicht bewusst sein, über einen angemessenen Preis seinen Respekt dem Tier gegenüber zu bekunden, das einen deutlich höheren Preis zu zahlen hat.

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