Wir werden euch wieder verarschen

Zalando Holiday-Kampagne: Wir werden uns wieder umarmen

Zalando, Europas führende Online-Plattform für Mode, greift uns ausnahmsweise mal nicht in die Tasche, sondern ans Herz. Mit seiner Holiday-Kampagne „Wir werden uns wieder umarmen“ will der Onlinehändler nach eigener Aussage „ein Zeichen der Hoffnung setzen“. Das stimmt mich eher nachdenklich denn besinnlich.

 

Die erste zu stellende Frage wäre: WTF ist eine Holiday-Kampagne? Glaubt Zalando vielleicht, der Corona-Karzer würde sich wie Urlaub anfühlen? Von wegen auf den letzten Drücker aufstehen, ungefrühstückt mit der Joggingbux vor dem Rechner hocken und sich dann einhändig die Stullen reinpfeifen, während man sich mit der anderen einloggt? Aber nein, ganz anders. Der Begriff ist vor einigen Jahren aus dem US-amerikanischen holiday marketing campaign schlecht ins Deutsche übersetzt worden und bei dieser Stümperei ging KOMPLETT der Ursprungssinn des Begriffs verloren. Unter holiday season verstehen die Angelsachsen grob die Zeit zwischen 1. Advent und Silvester. Insbesondere für den Einzelhandel ist die Frage des Zeitraumes verständlicherweise ausgesprochen dehnbar, weshalb auch gern mal die Wochen nach Halloween bis Anfang Januar als holiday season in Beschlag genommen werden. Ok, soweit kapiert: Zalando hat eine neue Kampagne für die Advents- und Weihnachtszeit gelauncht.

Die zweite Frage, die mir aufstößt, ist: Warum Zalando? Dazu fällt mir etwas um die Ecke gedacht Benetton ein, denen vor Jahrzehnten der Coup gelang, aufmerksamkeitsstark anstößige Werbung sinnfrei mit der eigenen Marke zu verkuppeln. Doch so weit geht spießi Zalando nicht, brav werden Bürger inszeniert, die einander auf unterschiedlichste Weise Nähe schenken. Wieso dann der Zusammenhang zu Benetton? Weil beide Firmen vollkommen Sinn-los die suggestive Macht inszenierter Bilder mit ihrer Marke zu verbinden suchen, wo doch bei genauer Betrachtung die Verbindung in keinster Weise gegeben ist. Als ONLINEhändler steht Zalando per se für Distanz, Anonymität und Entfremdung. Was erdreistet sich dieses kommerzgetriebene Unternehmen, das mithilfe von Algorithmen und künstlicher Intelligenz seine billigst produzierten Waren an eine gesichtslose Massenkundschaft verkloppt, von Nähe, Wärme, Menschlichkeit zu sprechen?

 

„In der Zeitschrift Trends in Cognitive Sciences Nov 2015 wird [...] unter demTitel Differences between on- and offline social environments gezeigt, dass in der programmgesteuerten Kommunikation 80 % der Inhalte, während in der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht nur 30 % der Inhalte selbstbezogen sind. Diese Gewichtung bedeutet, dass die Kommunikation von Abwesenden mit Abwesenden die eigenen Gedanken, Vorstellungen und Erfahrungen zum Gegenstand hat.“

Quelle: Annette Keles - Dimensionen der Entfremdung durch die programmgesteuerte Kommunikation. Seite 22 (PDF)


 

Soso, also je intensiver wir online interagieren, umso Ich-bezogener verhalten wir uns. Das ist natürlich ein STARKES Argument für Nähe, Wärme und Zuwendung. Aber wir wollen es Zalando nicht übel nehmen, mit raffinierten technischen Mitteln unsere schlechten Eigenschaften wie Ichsucht, Gier und Selbstinszenierung zu fördern. Schließlich müssen sie uns irgendwie dazu bringen, unser Geld für ihren Scheiß auszugeben. Wenn schon nicht die hochwertige Qualität der Produkte oder die Fairness der Arbeitsbedingungen (PDF) der Näherinnen und Näher für die Ware spricht, dann vielleicht das gute Gefühl, nach allen Regeln der Kunst verarscht zu werden und es nicht einmal zu merken. Mehr noch: Im Grunde fühlen wir uns ja während des Online-Shoppens richtig gut aufgehoben, weil wir immer genau das sehen, das visuell angeboten bekommen, auf das unsere Appetenz am stärksten anspricht. Zu deutsch: Je geiler wir auf den Reiz reagieren, den uns Zalando serviert, umso geiler werden die Klamotten, auf die wir mit jedem neuen Klick stoßen.

 

Das Leitmotiv unserer Kampagne ist zwischenmenschliche Nähe, was sich auch in unseren Kundenbeziehungen widerspiegelt,“ behauptet Zalando. Als treuer Nicht-Kunde kann ich zur menschlichen Nähe zalandischer Kundenbeziehungen nichts Valides aufführen. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich vom Feeling her ein gutes Gefühl hätte, wenn das Unternehmen meine Zahlungskräftigkeit deutlich mehr zu würdigen weiß als die brotlose Kunst des Zusammendengelns von Kleidungsstücken in chinesischen oder indischen Textilfirmen. Was gehen mich schließlich die Zustände in anderen Weltwinkeln an. Wäre ja noch schöner, für ein dämliches T-Shirt made in Germany unter Umständen den vier- oder mehrfachen Preis bezahlen zu müssen, weil halt deutsche Wertarbeit was wert ist. Und weil der deutsche Mensch eine durchs Grundgesetz garantierte, unantastbare Würde besitzt, die es verbietet, unbilligen Forderungen einer knausernden Konsumentenschaft durch Lohndumping und Außerkraftsetzung von Arbeitsrecht und Arbeitsschutz nachzukommen.

 

Es gibt ein wundervolles deutsches Wort, das sich (hoffentlich) nicht in schlechtes Denglish übersetzen lässt: der Aufmerksamkeitswerbezweck. Ah, jetzt fällt mir auch ein, wieso ich auf Benetton gekommen bin. 2003 hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil über die Reichweite der Menschenwürdegarantie gefällt. Hintergrund waren die verstörenden, für manch zartes Gemüt auch abstoßenden Werbebilder des Bekleidungsriesen Benetton, gegen welche die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. gerichtlich vorgehen wollte. Die Wettbewerbshüter hatten argumentiert, dass Benetton die Menschenwürde verletze, um Kapital für die eigene Marke aus der Schockwirkung aufmerksamkeitsstarker Bilder zu ziehen. Zalando schockt nun weiß Gott nicht, eher ergähnt es meine Aufmerksamkeit. Aber der Aufmerksamkeitswerbezweck ist eindeutig und analog zu dem, was schon die Italiener vorgelebt haben: Geld aus Gefühlen zu pressen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Sämtliche Inhalte dieser Website (Texte, Bilder) sind geschützt und dürfen kommerziell nicht ohne Abstimmung mit dem Urheber und Betreiber der Seite verwendet werden. Gleiches gilt für Texte und Bilder von Fremd-quellen, deren Urheberrechte gleichermaßen zu beachten sind. Für nicht kommerzielle Zwecke dürfen die Inhalte ausschließlich in Form von Zitaten und in Verbindung mit einer gut sichtbaren Copyright-Angabe verwendet werden (© zwonullzwonull). Der Autor übernimmt keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit oder Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen. Für schlampig angefertigte Artikel möchte ich mich entschuldigen. Für solche, die nicht mit Ihrer Weltwahrnehmung korrelieren, nicht. Achso: Scherz und Satire schwingen in manchen Beiträgen mit, werden aber nicht gesondert markiert.

Kontakt: Üti de Börz | info@zwonullzwonull.de

Blog nach Beiträgen & Schlagwörtern durchsuchen