Aerosole mio: Der Atem des Todes

Schon seit einiger Zeit wird eine neue, offenbar mordsgefährliche Sau durchs Weltdorf getrieben. Niemand, also zumindest alle Normalsterblichen ohne Abschluss in Medizin oder Infektionsbiologie, hatte sich in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie Gedanken darüber gemacht, dass Viren über längere Distanz durch die Luft übertragen werden können. Dass Krankheiten sich durch Anhusten und -niesen von Mensch zu Mensch verbreiten, ist ein seit sicherlich hundert Jahren bekannt. Meist war sich Otto Normalverbraucher darüber im Klaren, dass wenn mich jemand im vollen Öffi von der Seite anprustet, dies im Verlaufe von Stunden oder wenigen Tagen unter Umständen zu einem Kratzen im Hals, einer erhöhten Temperatur und einer triefenden Nase führen könnte. Von schlimmeren Symptomen mal abgesehen. Der Begriff „Tröpfcheninfektion“ wird für die meisten Menschen dieses Landes ein Gemeinplatz sein. Was aber kein Mensch, niemals irgendjemand massenmedial aufs Tapet gebracht hat, waren „Aerosole“ in Verbindung mit Krankheiten. Sprich: Die Übertragung von Viren oder Bakterien durch Ein- und Ausatmen gewöhnlicher Atemluft, die in einem Raum frei zirkuliert. Ok, heißt das jetzt, dass wir den mühsam gelernten Hygiene-Abstand von anderthalb Metern zu unseren Mitmenschen auf 15 Meter verzehnfachen müssen, wenn sich noch nicht einmal die Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO zu 100 % sicher sind, dass Aerosole zu den Übeltätern zählen?

 

Der in der obigen Grafik veranschaulichte Trend für das Schlagwort "Aerosole" bei Google verdeutlicht überdeutlich, wie sehr dieser Begriff erst mit dem Ausbreiten der Pandemie in Deutschland durch die Decke gegangen ist. In Fachkreisen, das soll hier nicht in Abrede gestellt werden, mag diese Form der Übertragung schon seit Langem Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses sein, aber so richtig in die Köpfe aller Menschen diffundiert ist dieser Begriff erst, als ihn die Medien und ihre überpräsenten Multiplikatoren aus Medizin und Politik breittraten. Es ist hier nicht der Raum, über Korrektheit oder Zulässigkeit der medizinischen Ergebnisse zu schwadronieren – das steht Nicht-Medizinern auch gar nicht zu. Aber ein anderer Sachverhalt lässt nachdenklich werden, da er sich im Verlaufe der Pandemie geradezu pandemisch ausgebreitet hat – und noch weiter ausbreitet und zu einer neuen Wahrnehmung von Welt, Gesellschaft und Mitmenschen führt: Die zunehmende Technokratisierung unserer Demokratie und demokratischer Entscheidungsprozesse.

 

Alles was gemessen werden kann, wird heute gemessen. Vielleicht ist es sinnvoll, die Virenkonzentration in Partikeln pro Kubikmeter Atem- oder Raumluft mithilfe von Sedimentation, Impingement, Filtration, Impaktion oder Elektropräzipitation (PDF) zu erfassen. Vielleicht ist es auch wichtig, die Flugbahnen von Aerosolen und Tröpfchen, die während des Sprechens, Singens und Rülpens erzeugt werden, mittels Laser-Lichtstreuung zu visualisieren. Aber müssen wir WIRKLICH alles und alles, was auch nur im entferntesten von unter Umständen abseitigem Interesse sein könnte, wissenschaftlich untersuchen? Das Robert-Koch-Institut schreibt in seinem Steckbrief zu COVID-19 Folgendes:

 

 „Bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 m erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt und exponierte Personen besonders tief einatmen.“

Quelle: Robert-Koch-Institut


 

Ein Forscher aus Hongkong hat untersucht, wie sich verschiedene Arten von durch Menschen erzeugte Aerosole – also das klassische Atmen, leises und lautes Sprechen, Vorlesen, Singen, Schreien – auf den Ausstoß von Viren oder Viruspartikeln und die Übertragung mittels Luft auswirken.

 

„Morawska et al. berichteten, dass die durchschnittliche Partikelkonzentration bei kontinuierlichem Sprechen höher ist als bei der Atmung (1,1 cm3 beim Sprechen und 0,1 cm3 bei der Atmung), ein Befund, den sie im Hinblick auf den zusätzlichen Beitrag der Erzeugung von Viruspartikeln im Kehlkopf interpretierten, der bei normaler Atmung nicht auftritt. Interessanterweise fanden wir heraus, dass die Partikelemissionsrate während des menschlichen Sprechens positiv mit der Stimmlautstärke korreliert, und zwar im Bereich von 1 bis 50 Partikel pro Sekunde (0,06 bis 3 Partikel pro cm3) für niedrige bis hohe Stimmlautstärken. Selbst beim leisen Vorlesen einer Textpassage wurden signifikant mehr Partikel freigesetzt als bei verschiedenen Arten der Atmung.“


Original in Englisch, Quelle: PLOS


 

Es stimmt zweifellos, dass die Entwicklung in den Wissenschaften dazu geführt hat, dass wir uns alle (der kleine Mann auf der Straße bis hoch zu den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft) dahingehend weiterentwickelt haben, zu verstehen, dass regelmäßiges Händewaschen, sich Anschnallen während einer Autofahrt, Verzicht auf Zigarettenkonsum in geschlossenen Räumen oder auf einen übermäßigen Konsum bestimmter Lebensmittel gewisse und nachprüfbare gesundheitliche Fortschritte mit sich bringen. In manchen Fällen kann ich den gesundheitlichen Vorteil ohne Zuhilfenahme von Expertenwissen am eigenen Leib, an meiner eigenen Konstitution und Befinden unmittelbar prüfen (unangeschnallt dem Vordermann auffahren versus den Gurt anlegen; viel Fastfood, zuckerhaltige Getränke konsumieren versus sich „gesund“ und ausgewogen ernähren. In anderen Fällen ist der gesundheitliche Vorteil nicht unmittelbar ersichtlich, allerdings haben wir Menschen gelernt, dass Passivrauchen bei bei anderen Menschen Lungenkrebs oder zumindest Atemwegserkrankungen auslösen kann – von meiner eigenen gesundheitlichen Gefährdung einmal abgesehen. Viele solcher persönlich nur schwer nachzuprüfender gesundheitlicher Vorteile „verstehen“ wir Menschen aber mehrheitlich intuitiv und wir befolgen unaufgefordert gelernte Verhaltensweisen zu unserem und unseres Mitmenschen Wohl.

 

Anders verhält es sich, wenn wir uns heutige wissenschaftlichen Ergebnisse, speziell das Aerosol-Thema, im Angesicht der Viruspandemie anschauen. Von der Tatsache abgesehen, dass sich nie zuvor eine solche Flut von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Einrichtungen auf die Erforschung einer einzelnen Erkrankung gestürzt haben, ist die Bandbreite sogenannter wissenschaftlicher „Erkenntnisse“ rund um COVID-19 geradezu atemberaubend, um nicht zu sagen von erdrückender Überfülle. Von der eher bodenständigen Feststellung, dass Maske tragen vielleicht doch keine so schlechte Idee ist, um Ansteckungen mittels Tröpfcheninfektion zumindest einzuschränken, bis hin zu lasergestützten Untersuchungen menschlichen Atmens und Sprechens zur Visualisierung von 20 bis 500 μm großen Aerosoltröpfchen – keine Idee, kein Forschungsansatz scheint zu abwegig, sich dem Virus und dessen Eigenschaften und Übertragungswegen erkenntnistheoretisch allseits zu nähern.

 

Medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere die auf sophisticated techniques (komplex, ausgefeilt, anspruchsvoll, schwer verständlich) basierenden angeht, wirken sich immer tiefgreifender auf die Gesellschaft und den Handlungsapparat sozialer Normen aus. Allein das technisch Machbare und entlegenstes wissenschaftliches Interesse akkreditiert die weltweite Forschungsgemeinschaft, Erkenntnisse zu generieren und auf ihre Praxistauglichkeit hin abzuklopfen, um sie in die gesellschaftlichen Verwertung zu überführen. Der Rummel um das Schreckgespenst „Aerosole“ hat dazu geführt, dass sich neben der Gastro- und Eventbranche nun auch noch Schulen um die Anschaffung leistungsstarker Luftfilteranlagen Gedanken machen müssen. Niemand VERSTEHT, sieht, überprüft die wissenschaftliche Behauptung (vulgo: Erkenntnis), dass Virenpartikel in Nanometergröße frei durch den Raum schwebend 10, 20 Meter Wegstrecke zurücklegen, um von einem Menschen auf der anderen Seite des Raumes inhaliert zu werden. Nicht einmal unter Forschern ist diese Ansicht unumstritten. Das was viele von uns tun, ist, daran zu GLAUBEN, dass es so ist.

 

Wohin wird uns diese Form des sophistischen Erkenntnisgewinns führen? Wenn die Wissenschaft sich in Sphären bewegt, die weit entfernt von jeder auch nur ansatzweise als „real“ oder „wirklich“ zu bezeichnenden Welt ist. Eine Welt, die im Extrem nur noch wenig mit der zu tun hat, in der ich morgens aufwache, mich mein Leben lang bewege und die mich am Ende meines Lebens wieder zu sich nimmt. Die sich aber zunehmend dem Diktat (abwegiger) wissenschaftlicher Erkenntnisse unterordnet, der Zahlenhörigkeit anheimfällt und Menschen dazu zwingt, an etwas zu glauben, dass fern jedweder Wahrnehmung, der Überprüfung durch die eigenen Sinne existiert.

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