
Tief im Inneren verwundert es keinen Menschen im Ausland. Während sinnenfrohe Südländer sich die Schnauze beim Leerräumen von Rotweinregalen und Kondomständern polieren, werden Deutsche handgreiflich, wenn es ums Ergattern der wichtigsten Rolle in ihrem ansonsten weltpolitisch so beschaulichen Statistendasein geht: der Papier gewordenen Inkarnation ihres dunkelsten Triebs. Kaum ein anderes Land steht so sehr eponym für Eigenschaften wie Pünktlichkeit und Ordnungsliebe wie Deutschland, kein zweites, in dem sich die anale Aphasie deutlicher in Sparsamkeit und Sauberkeit manifestiert. Und kaum ein anderes Volk gibt aktuell mehr Anlass zur Belustigung angesichts überquellender Läger von Scheißhauspapieren. Der deutsche Reinheitswahn ist weltweit sprichwörtlich. Nicht zuletzt aufgrund des grandios gescheiterten großen Kehraus', dem paneurasischen Großreinemachen, dem Millionen von Undeutschen und sonstigen Parias zum Opfer fielen. Ein Reinheitsdrang, der sich zur Massenzwangsneurose steigerte, alles von allem säubern zu wollen.
Selbstverständlich ist diese Form von Reinlichkeitswahn nicht nur den Deutschen eigen. Leider gehören sie in der Hinsicht zu einem der eifrigsten Völkchen, den der Bakterienzoo
Mensch in diese Welt gesetzt hat. Die unausrottbare Saubermannseele epiphanierte im Verlaufe von Jahrhunderten in den unterschiedlichsten Ausformungen – unbenommen von Ständen, Klassen und
Schichten. Sie materialisierte sich in holzgeschnitzten Hockscheißern an bauern-häuslichem Gebälk ebenso wie im windelnwechselnden Westmuttergetüttel, deren Überreinlichkeit sicherlich zu einem
hohen Prozentsatz für die ausgeprägte Allergikerquote unter Westdeutschen verantwortlich zeichnet. In der einstmals schmutzigsten Stadt Europas hingegen, in Bitterfeld, tanzte die altersgleiche Ostkohorte den Resilienz-Rumba – unbeschadet graubraungrünlich lasierter Lungenflügel, die sie der
dasigen Braunkohle- und Chemieindustrie verdankten. Übertriebene Sauberkeit schwächt. Deutlicher lässt es sich nicht belegen.
Und trotzdem ist dieser Drang den Deutschen nicht auszutreiben. Hieß es früher Kraft durch Freude, ist es heut der Glanz durch Kraft, der Reinheit allenthalben schafft. Ob Kleidung,
Körper, Haus und Wagen: Der saub're Glanz sorgt für Behagen. Es mag kein Zufall sein, dass der Welt größter Chemiekonzern hierzulande beheimatet ist. Wie man es auch dreht und wendet, ein jeder
Schmaus im After endet. Womit wir die Hysterie der Deutschen in Krisenzeiten im Kern umfassen. Die Regale sind berstend voll von Fressalien, aber beim Klopapier stößt man unübersehbar auf
Versorgungslücken. Ob beim Discounter oder im Edelsupermarkt – das gegenwärtig kostbarste, weil kaum erstehbare Verkaufsgut, ist das Toilettenpapier. Was für ein bizarrer Widerspruch in
einem der reichsten Länder der Erde. Während andernorts Menschen verhungern, wird hierzulande der Schiss zum Problem. Dabei können wir gegenwärtig gar nicht so viel fressen, wie wir scheißen
könnten – betonen die deutschen Toilettenpapierhersteller: Allein bei Hakle lagern gut 10.000 Paletten, jede bepackt mit
1.000 Rollen à 150 Blatt mehrlagigen Klopapiers. Die Mutter aller Rollen besteht sogar aus 37 Kilometern Toilettenpapier mit Überbreite. Wer sich angesichts dieses Überangebots noch immer in die
Hosen scheißt, sollte sich um Corona weit weniger sorgen als um den Zustand seines Oberstübchens.
Die Panik vor dem papierlosen WC treibt immer absonderlichere Blüten. Da zahlreiche Bürger über Tage nicht mehr des Klopapiers habhaft werden können, greifen viele ersatzweise zu
anderen Materialien. Landauf, landab
berichten Mitarbeiter von Stadtentwässerungen, dass vermehrt Produkte wie Feucht-, Kosmetik- oder gar Küchentücher in der Kanalisation und letztlich in den Pumpwerken landen. Mit der Folge,
dass die Pumpen in den Pumpwerken aus der Puste geraten, da sie diese gänzlich ungeeigneten Stoffe nicht transportieren können. „Es kann zu Ausfällen im gesamten System kommen“, warnte neulich
ein namentlich nicht näher zu nennender hoher Stadtentwässerungsabteilungsleiter. Das kollektive Versagen der Kanalisation wird dieses Land in ein Scheißhausinferno verwandeln. Corona
dagegen wird wie die Darmentleerung einer Eintagsfliege erscheinen.
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