Die Herrschaft der Massenneurose

Als Bürger eines demokratischen Landes sollten wir eigentlich dankbar sein, dass Gesetze oder Anordnungen nicht autokratisch von einer selbstherrlichen Junta erlassen und von einem Apparat ergebener Ordnungskräfte exekutiert werden. Unsere repräsentative Demokratie kann als eine Herrschaftsform definiert werden, in der die Herrschaft der von einer Bevölkerungsmehrheit gewählten Volksvertreter nicht nur rechtlich legitimiert ist, sondern darüber hinaus auch ein Mandat für zukünftige Machtbefugnisse, die zum Zeitpunkt der Wahl weder existierten noch überhaupt vorstellbar waren, erteilt wird. Dieser zweite Aspekt führt nach Wahlen regelmäßig zu Missstimmungen in Teilen der Bevölkerung, die sich von ihren Volksvertretern übervorteilt fühlen, da mitunter Gesetze oder Anordnungen beschlossen werden, die sich so ziemlich konträr zu dem verhalten, was ursprünglich die Absicht des Wählers war.

 

Was wir aktuell im Rahmen des Infektionsschutzes zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erleben, hat einesteils den Ruch einer Eingriffsermächtigung, wird auf der anderen Seite aber dem Hören und Sehen nach von großen Teilen der Bevölkerung getragen, ist somit demokratisch legitimiert. Was den Sachverhalt komplex und nur schwer zu durchschauen macht, ist, dass zwar das Bestreben des Staates insofern gutzuheißen ist, die eigene Bevölkerung davor zu schützen, an Leib und Leben Schaden zu nehmen. Der Eindruck jedoch, der bei nicht wenigen Menschen entsteht, ist der, dass es sich um eine Teufelsaustreibung mit dem Beelzebub handelt. Wir befinden uns in einer historischen Situation, die viel Raum für Spekulationen lässt, in der eine Grafik, eine Prognose, ein Unkenruf oder Prophetenschrei den nächsten jagt. Wie viele Menschen werden allein in Deutschland an Corona sterben?, war die schauerliche Frage, die zu Beginn der Pandemie Millionen Deutschen in eine Schockstarre versetzte.

 

Man könnte zu glauben geneigt sein, dass diese traumatische Erfahrung von einer weltweit um sich greifenden, ansteckenden Krankheit und die in der Folge verhängten drakonischen Grundrechtseinschränkungen zu einer Art „Stockholm-Syndrom“ geführt haben. Der „aggressive“ (übergriffige) Staat, den viele nur als unsichtbare und geräuschlose Kulisse unserer Überflussgesellschaft kannten, tritt aus dem Schatten ins gleißende Rampenlicht. Medial unüberseh- und -hörbar werden Anordnungen erlassen, die in das Leben von Millionen Menschen eingreifen und ihren Alltag be- oder einschränken. Doch die Mehrheit dieser Menschen begehrt nicht auf, ist nicht einmal wütend. Umfragen zeigen ein weit verbreitetes, ja fast unisono herrschendes Verständnis für die gravierendsten Eingriffe in die elementarsten Grundrechte der Bürger dieses Landes. Angesichts der scheinbaren Alternativlosigkeit der dekretierten Maßnahmen verhalten sich die Menschen wie Opfer, die mit einem Zweckoptimismus ausgestattet positive Gefühle für den Staat entwickelten, der sie ohne Volksentscheid, ja sogar ohne Beteiligung des Bundestages in Geiselhaft nimmt.

 

Ein solcher Staat, die Motive seien dahingestellt, verhält sich autoritär und schafft in der Bevölkerung ein Klima der Verunsicherung, der Hilflosigkeit und sogar der Angst. Der über Monate herrschende Ausnahmezustand hat das Verhalten von Millionen verändert. Er zwingt Menschen dazu, Dinge zu tun, zu denen sich niemand mit einem gesunden Wachbewusstsein hätte hinreißen lassen: Mund und Nase über Stunden hinter einer Maske verbergen; Menschen nicht die Hand zur Begrüßung reichen; Fremden ausweichen, nicht ins Gesicht schauen, sich gar demonstrativ wegdrehen; das Haus entweder gar nicht verlassen oder sich nur in einem Radius von Hunderten Metern bewegen zu dürfen; Entwicklung von absurdem Konsumverhalten wie Klopapier, Nudeln, Desinfektionsmittel horten etc. pp. Der Eindruck entsteht, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Neurose handelt, eine Hysterie, die sogar Menschen befällt, die sich nüchtern, abwägend, differenziert glauben. Aber es ist nicht der Ausnahmezustand allein, der für diese Gestörtheiten verantwortlich zeichnet. Erleben zu müssen, dass Heerscharen von Menschen, denen man in früheren Zeiten unbeschwert auf der Straße, beim Einkauf, in der Nachbarschaft begegnet ist, nun verhaltensauffällig werden – der soziale Druck, den diese Massen ausüben, darf nicht unterschätzt werden. Wenn mehr und mehr in meinem Umfeld Maske tragen, so dass ich am Ende nur noch zu einer Minderheit gehöre, deren Gesicht unbekleidet ist, wird dies dazu führen, dass in meinem Bewusstsein die Frage immer drängender wird, ob es nicht doch klug ist, sich dem Verhalten der Mehrheit anzuschließen. Gleiches gilt für das Konsumverhalten, sich zu Hamsterkäufen hinreißen zu lassen. Seine Standhaftigkeit zu bewahren, den gesunden Menschenverstand und die gebotenen Regeln des Anstands nicht aus dem Blick zu verlieren – ohne in Stur- oder Verbohrtheit abzugleiten, ist ein schweres Unterfangen in Zeiten der Herrschaft einer Massenneurose.

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