Freiheit, die ich meine

Kaum hatten wir die Maske allenthalben auf – durften wir sie auch schon wieder abnehmen. Die Allgemeinverordnung, die das verpflichtende Tragen des Mundnasenschutzes im gesamten Stadtgebiet dekretierte, wurde aufgrund der Privatklage eines Bürgers nur wenige Tage später schon wieder aufgehoben, um durch eine sehr abgespeckte Aktualisierung erneut in Kraft zu treten.

 

In den wenigen Tagen, in denen die verschärfte Fassung in Kraft war, ging etwas Eigenartiges in mir vor. Was sicherlich auch nur von Menschen mit einem vergleichbaren Charakter, einem ähnlichen starken Freiheitsdrang nachempfunden werden kann. Der Gedanke daran, tagsüber das Haus zu verlassen, um beispielsweise in der Mittagspause eine Runde im Sonnenschein zu drehen, wurde komplett von der Vorstellung vergällt, während des gesamten Spazierganges einen Mundnasenschutz tragen zu müssen. Ich empfinde einen klaren Unterschied, auch was die eigene Haltung anbelangt, beruflich verpflichtet zu sein, eine Munaschu zu tragen – vergleichbar mit einem Schutzhelm auf dem Bau, einer Schweißmaske in der Metallverarbeitung oder einer Feinstaubmaske bei Lackierarbeiten. Beruflich zum Tragen solcher Masken, Helme, Schütze verpflichtet zu sein, verändert auch die Haltung desjenigen, der aus arbeitsrechtlichen Gründen diese Vorrichtungen am oder auf dem Kopfe trägt.

 

Anders hingegen das Dekret, alle Menschen gleichermaßen – gleich wo und unter welchen Umständen sie leben – dazu zu verdonnern, das eigene Gesicht zwangszuverhüllen. Meine instinktive Haltung dazu war: Ablehnung. Nicht aus Dummheit, Ignoranz oder Sturheit. Sondern weil mir mit dieser „Schutzverordnung“ die Fähigkeit abgesprochen wurde, als mündiger Mensch angemessen und verhältnismäßig auf die etwaige Bedrohung einer Virusinfektion zu reagieren. Die CoronaSchVO spricht dem Bürger die Mündigkeit ab und ersetzt Nachdenken durch Vorgaben.

 

Wie reagieren, wenn die Masse aller Menschen sich unter diese Verschärfung fügt? Selbst am Abend, nach Abflauen des Feierabendverkehrs auf sich mehr und mehr leerenden Straßen und Bürgersteigen, findet sich eine Mehrheit, die ungefragt, ungeklagt allenthalben Maske trägt, ohne dass die meisten von ihnen auch nur IM ENTFERNTESTEN Gefahr liefen, sich bei einer Zufallsbegegnung mit einem Maskenverweigerer eine Virusinfektion zuzuziehen. Mir krampfte sich der Magen zusammen angesichts dieses blinden Gehorsams, der vielleicht sogar weniger einem echten Gehorsam geschuldet war als vielmehr dem übergroßen Bedürfnisses nach Verantwortungslosigkeit. Denn es ist das genaue Gegenteil – nämlich keine Verantwortung zu übernehmen, wenn ich, unabhängig von meiner persönlichen, räumlichen Situation, GRUNDSÄTZLICH diese Maske trage, anstatt SITUATIV und VERANTWORTUNGSBEWUSST zu entscheiden: Hier ist das Tragen einer Maske angebracht, dort aber unsinnig. Dieser Mangel an Verantwortungsbewusstsein zeichnet sich dadurch aus, dass ich selbst darauf verzichte, aktiv zu werden, meinen eigenen Verstand zu gebrauchen, für mein Handeln Verantwortung zu übernehmen, weil ich qua Zugeständnis meine Mündigkeit an die Politik delegiere, die sie dann für mich, an meiner Statt demonstriert und per Coronaschutzverordnung zurück an mich in Form diverser Handlungsanleitungen dekretiert.

 

Es geht also nicht darum, das Recht zur Maskenverweigerung zu legitimieren, sondern an die Mündigkeit des aufgeklärten Bürgers zu appellieren, zum Schutz der Allgemeinheit, zum eigenen Schutz angemessen und verhältnismäßig den Mundnasenschutz zu tragen.

 

Wer zu viel nachdenkt in Zeiten wie diesen, läuft Gefahr, depressiv zu werden. Oder aggressiv. Selbst der blaueste Himmel konnte mich nicht locken, tagsüber einen Spaziergang durch mein Viertel zu machen, weil ich es als Zumutung empfand, wahllos, situationslos Mund und Nase verbergen zu müssen. Ich verlegte stattdessen notwendige Besorgungen auf die Abendstunden, um im Schutze von Dämmerung und Dunkelheit ohne Maske durch die Straßen zu streifen. Umso befreiter fühlte ich mich, als nach einer Woche der allgemeine Maskenzwang aufgehoben und durch eine geschärfte Regelung ersetzt wurde, welche die Verpflichtung auf einige wenige, klar umrissenene Viertel und Straßenzüge einschränkte. WELCH EIN GEFÜHL VON FREIHEIT war plötzlich in mir! Eine lächerliche Form von Freiheit, aber doch eine spürbare, die mir persönlich sehr viel bedeutet. Durchatmen zu können, die Sonne, den Wind auf dem Gesicht zu fühlen, und befreit von möglichen staatlichen Kontrollen zu sein, die mich wahllos in den Abendstunden auf einem menschenleeren Bürgersteig allein dadurch kriminalisiert und rechtens bestraft hätte, weil ich die Auflagen der CoronaschVO verletzt haben soll.

 

Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam. Einen Großteil seiner Macht erhält der Autoritarismus aus freien Stücken. In Zeiten wie diesen denken Individuen aus freien Stücken darüber nach, was eine repressivere Regierung möglicherweise will, und dienen sich ihr anschließend an, ohne gefragt worden zu sein. Ein Bürger, der sich auf diese Weise anpasst, lehrt die Macht, wie weit sie gehen kann.“

Timothy Snyder: Über Tyrannei.


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