Frischluftlebensqualität

In Italien, in Frankreich oder auch in Deutschland haben die Beschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu einer noch nie gemessenen Reduktion der Luftbelastung geführt. Feinstäube und Stickoxide seien laut Europäischer Umweltagentur allein in Europa in jedem Jahr für mehr als 400.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Mithilfe aktueller Messdaten haben Forscher abzuschätzen versucht, wie hoch die Zahl derer ist, die aufgrund der spektakulären Senkung des Niveaus der Lufbelastung nicht vorzeitig verstorben sind. Seit gut einem Monat greifen in allen Ländern Europas verschiedenste Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, die für die Verringerung der Luftbelastung verantwortlich gemacht werden.

 

Rund 11.000 Todesfälle seien gemäß der am 29. April erschienenen aktuellen Studie (PDF) allein in Europa innerhalb dieses nur kurzen Zeitraums verhindert worden, wie das erst jüngst gegründete Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) als Ergebnis vorgestellt hat. Die international arbeitende unabhängige Forschungseinrichtung ist in Finland ansässig und wird insbesondere von Partnerorganisationen wie Climatework oder Bloomberg Philantropies unterstützt. Der französischen Tageszeitung Le Monde liegen die Ergebnisse dieser bislang unveröffentlichten Studie vor. Mit 2.083 vermiedenen Todesfällen profitiert Deutschland am stärksten von der Verringerung der Luftbelastung, gefolgt von Großbritannien mit 1.752, Italien mit 1.490, Frankreich mit 1.230 und Spanien mit 1.081 verhinderten Todesfällen, die im Zusammenhang mit dem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten aller betroffenen Länder stehen.

 

Um an die Ergebnisse zu kommen, haben die Forscher des CREA Daten analysiert, die von mehr als 3.000 Messstationen verteilt in ganz Europa stammen, die zwischen dem 1. und 26. April die Konzentration von Feinstäuben und Stickoxiden gemessen haben. In einem zweiten Schritt wurden die Daten mit den Vorjahresniveaus unter Berücksichtigung meteorologischer Schwankungen verglichen. Die erhobenen Messdaten zeigen insgesamt eine Verringerung von ungefähr 40 % des Mittelwertes von Stickoxid und von 10 % für Feinstaub. Die Verringerung der Luftbelastung ist je nach Land unterschiedlich stark ausgeprägt. Was die Stickoxide anbelangt, so fiel die Reduktion der Belastung am stärksten in Portugal, Spanien, Norwegen, Kroatien, Frankreich, Italien  und Finland aus. Nach Aussage des CREA erklärt sich das Absinken der Luftbelastung um ein Drittel in erster Linie durch die verringerte Stromproduktion in den Kohlekraftwerken und durch den geringeren Absatz von Kraftstoffen (Benzin, Diesel), da weniger Verkehr auf den Straßen war.

 

Neben der niedrigeren Zahl an Todesfällen zeigt die Studie weitere gesundheitliche Vorteile auf, die sich im Messzeitraum von nur einem Monat ergeben haben sollen: 1,3 Millionen Krankmeldungen weniger, 6.000 neue Fälle von an Asthma erkrankten Kinder verhindert, 1.900 Besuche weniger von Notfallambulanzen aufgrund heftiger Asthmabeschwerden oder auch 600 Frühgeburten weniger. Die unerwartet positiven Effekte der gegen die Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen zeigen, an welchen Punkt die Luftverschmutzung unsere Gesundheit schädigt und in welchem Ausmaß ihre Auswirkungen nicht beachtet wurden“, erläutert Lauri Myllyvirta, Chefanalystin bei CREA. Wenn die Corona-Krise erstmal vorüber ist, wird es wichtig sein, dieVerbesserung der Luftqualität auch in Zukunft auf diesem Niveau zu halten, indem wir auf saubere Transportmittel sowie Energien setzen.

 

Mehrere Studien, vor allem in Italien, haben gezeigt, dass die Luftverschmutzung ein mitentscheidender Faktor ist, der für die Verschlimmerung des Gesundheitszustandes vieler Menschen während der Pandemie verantwortlich ist. Feinstaubpartikel könnten als Träger zur Verbreitung des Virus fungieren. Mailand, das als Stadt hart von der Pandemie getroffen wurde, wie im übrigen die gesamte Lombardei, hat kürzlich ein ambitioniertes Programm angekündigt, das darauf abzielen soll, den Gebrauch des eigenen Pkw nach Aufhebung der strikten Beschränkungen zu reduzieren. 35 Km Straßen sollen noch im Verlaufe des Sommers so umgebaut werden, dass die Bürgersteige für Fußgänger nun breiter gemacht und neue Radwege ausgewiesen werden. Zudem soll die Höchstgeschwindigkeit maximal 30 Km/h betragen. Die Luftverschmutzung muss endlich als eine ernsthafte Bedrohung angesehen werden. Ab dem 11. Mai wird es absolut notwendig sein, dass wir nicht mehr zur allumfassenden Verwendung von Privat-Pkw und zu den alltäglichen Staus zurückkehren. Wir müssen auf Fortbewegungsarten umschwenken, die deutlich geringer umweltbelastend sind“, unterstreicht Marie Chéron, die in der Fondation Nicolas Hulot, einer Stiftung für Natur und Mensch, für den Bereich Mobilität verantwortlich ist. Die französische Nichtregierungsorganisation Action Reseau Climat, ein Zusammenschluss von über 30 gesellschaftlichen Gruppen, verlangt für Frankreich die Einsetzung eines "Notfallfonds Fahrrad" in Höhe von 500 Millionen Euro. Und will damit verhindern, dass die Aufhebung der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen dazu führen können, dass sich die Menschen wieder an die Bequemlichkeit ihres Privat-Pkw gewöhnen.

 

Originalartikel La baisse de la pollution aurait évité 11000 décès en Europe erschienen in der Printausgabe der Le Monde vom 2. Mai 2020, Verfasser: Stéphane Mandard

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