
„Schnaps ist gut für die Cholera“, klang es schon aus den Kehlen jener Generationen, die im nicht mehr allzu neuen Jahrtausend mählich das Zeitliche segnen sollten. Wenn es nicht das Kette rauchen oder der wohlgelittene Griff zur Flasche war, der den Kriegs- und Vorkriegskindern nach Jahrzehnten des Abusus intestinal derart zusetzte, dass Lungen oder Leber quid pro quo ihre Geister aufgaben: Spätestens Corona hat dieser Generation "feste arbeiten, Feste feiern" mehr das Fürchten gelehrt, als es jeder gefettete Warnhinweis auf Spirituosen oder Rauchwaren vermochte. Man sieht nur, was man weiß. Was für ein kluger Satz. Ob er von Robert Koch stammt, ist nicht zu sagen, weil unerheblich. Als Sinnspruch auf dem Firmenschild des gleichnamigen Instituts verdeutlicht er unser aller Dilemma. Dass Kippen und Korn echt nicht gut sind für die eigene Gesundheit sind, dürfte gemeinhin bekannt sein. Aber ein nanometergroßer Virus, so wenig greif- und sichtbar wie die Heisenbergsche Unschärferelation: wie damit umgehen, wie seiner habhaft werden, welche persönlichen Konsequenzen daraus ziehen? Die Gefahren für Leib und Leben von uns Heutigen sind asymmetrisch geworden. Für Menschen aus den Zeiten des Kalten Krieges, die heutigen 70- bis 90-Jährigen und damit Haupt-altersgruppe unter allen COVID-19-Todesfällen, vermutlich schwer zu vermitteln, wo doch der klare Klassen- und Systemfeind rot und links war.
Aber Alkohol soll beileibe nicht nur der Cholera den Garaus machen. Es gibt wahrhaft Menschen, welche die These verbreiten, dass sich mit Fusel auch COVID-19 schachmatt setzen ließe. Beziehungsweise … vielleicht sind es auch gar keine Menschen, die solchen Unsinn streuen, sondern einfach nur irgendwelche Quellen. Soll heißen: keine heißen, sondern solche Quellen, die Falschmeldungen verbreiten. Ob dahinter Menschen stecken oder Algorithmen, ist am Ende auch egal. Oder nein, seien wir präziser: Kein Algorithmus denkt sich einen solchen Scheiß aus, es muss irgendein menschlicher Idiot dafür verantwortlich sein:
„Auf einem Bild mit Text, welches derzeit vor allem auf Whatsapp geteilt wird, wird behauptet, dass ein erhöhter Alkoholkonsum gegen das Coronavirus hilft. Es wird angedeutet, Alkohol könne die Viren im Rachen abtöten. Die Meldung enthält das Logo des Robert Koch Instituts (RKI) und das Datum 19. März 2020. Darin heißt es: „Ab einer Menge von 100 g Alkohol pro Tag soll sich eine ausreichende Desinfizierung im Mund und Rachenraum einstellen […] Wer mehr verträgt soll und darf sogar auch mehr zu sich nehmen.” Dies entspreche der Menge von fünf Bier.“
Quelle – also die gute Quelle für dieses Zitat: https://correctiv.org
Wer sich mindestens fünf Bier am Tag (gern auch mehr) hinter den Knorpel kippt, ist am Ende der Pandemie mit Sicherheit entweder seinen Lappen los – oder gleich die ganze Leber. Wie viele Menschen dieser Falschmeldung aufsitzen oder -saßen, ist nicht klar. Es scheinen einige zu sein, die ihre Kohle in Stroh-Rum oder anderen harten und weichen Fusel konvertieren. Zahlen aus dem Frühjahr 2020 der GfK Gesellschaft für Konsumforschung legen nahe, dass in den ersten Wochen der Pandemie nicht nur das Klopapier konsummäßig durch die Decke ging. Nein, die Deutschen kauften 34 % mehr Wein, ca. 31 % mehr Spirituosen und ca. 12 % mehr Bier. Aber vermutlich werden diese Flüssigkeiten nicht als Rachengurgler gegen Coronaviren zweckentfremdet verkonsumiert, sondern landen des reinen Genusses wegen in deutschen Bäuchen. Fehlende Ausgehmöglichkeiten sind mutmaßlich der kompensatorische Grund, dass der Privatkonsum an Alkohol gestiegen ist. Zusammen mit den Nudelfressorgien und aufgetürmten Scheißhauspapiergebirgen ist der deutsche Krisen-Alkoholismus der Schlussstein der spießbürgerlichen Sorgen-Triade.
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